Wer feiert 2024 ein rundes Jubliäum?

2024 ist bekanntlich Caspar-David-Friedrich-Jahr, Kafka-Jahr, Kant-Jahr. Da das kulturelle Leben der letzten Jahrhunderte aber nicht nur diese drei Herren, zu denen die Veröffentlichungen dieses Jahr den Buchmarkt überschwemmen werden, hervorgebracht hat, sondern auch andere Herren und – man lese und staune – sogar Damen, sei im Folgenden auf ein paar weitere runde Jubiläen hingewiesen, wobei der Fokus auf der schreibenden Zunft liegt, denn das hier ist ja ein Buchblog.

Ruth Berlau (24. August 1906 – 15. Januar 1974)
Sie gehörte zu den vielen Frauen, mit denen Brecht „zusammenarbeitete“ und lebte – und die dann nur als „eine von Brechts Frauen“ erinnert werden. Dieses Jahr im Januar ist ihr 50. Todestag. 50 Jahre sind wahrlich genug, um endlich Gras über diesen Brecht da wachsen zu lassen, und die eigenständige Schriftstellerin Ruth Berlau wiederzuentdecken, die zahlreiche Reportagen, mehrere Erzählungen, Stücke und einen Roman verfasst hat.

August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (2. April 1798 – 19. Januar 1874)
Der Autor des Textes der deutschen Nationalhymne ist im Januar seit 150 Jahren tot. Tatsächlich ist die Geschichte der Melodie der deutschen Nationalhymne komplexer und interessanter als so einige der Gedichte dieses Autors, wenn man mich fragt, aber erwähnen kann man ihn ja mal.

Hugo von Hofmannsthal (1. Februar 1874 – 15. Juli 1929)
Eine der schillerndsten Figuren der deutschsprachigen Literaturgeschichte feiert ihren 150. Geburtstag – da sowohl seine Biografie als auch sein Werk hinlänglich bekannt sind und so viel Aufmerksamkeit erfahren, als wäre jedes Jahr Hugo-von-Hofmannsthal-Jahr, muss man an ihn wohl nicht erinnern, sollte aber trotzdem irgendjemand wirklich noch nichts von ihm oder über ihn gelesen haben, dann wäre 2024 ein gutes Jahr, um damit anzufangen, denn es lohnt sich.

Marieluise Fleißer (22./23. November 1901 – 2. Februar 1974)
Im Februar jährt sich der Todestag der Ingolstädter Schriftstellerin Marieluise Fleißer zum 50. Mal. Bekannt geworden ist sie insbesondere durch ihre Ingolstädter Dramen und ihre schwierige Beziehung zu Brecht, sie hat aber auch zahlreiche Erzählungen und Romane verfasst. Tipp: Das Fleißer-Haus in Ingolstadt ist ein sehr schön hergerichteter Ort, an dem man sich über diese moderne Klassikerin informieren kann.

Karl Kraus (28. April 1874 – 12. Juni 1936)
Im Grunde konnte Karl Kraus alles: Aphorismen, Journalismus, Herausgeberschaft, Lyrik, Drama, Prosa. 2024, anlässlich des 150. Geburtstags von Karl Kraus, kann man hier einen scharfen Denker und Beobachter neu entdecken und würdigen, ohne den die literarische Welt um 1900 wirklich ganz anders ausgesehen hätte.

Franz Kafka (3. Juli 1883 – 3. Juni 1924)
An diesem Jubiläum kommt im deutschsprachigen Raum niemand, der irgendwie Feuilleton und Buchmarkt beobachtet vorbei, denn eine nicht geringe Zahl Verlage hat sich darauf konzentriert, 2024 anlässlich des 100. Todestages zum Kafka-Jahr zu machen. Völlig zurecht natürlich, aber schade, dass der Markt dann auf Jahre vermutlich bedient ist…

Friedrich Gottlieb Klopstock (2. Juli 1724 – 14. März 1803)
Klopstock wird 300, das ist ein guter Anlass, um endlich wirklich mal seinen „Messias“ zu lesen, schließlich schrieb Lessing schon 1753, und das ist also auch schon wieder bald 300 Jahre her:
„Wer wird nicht einen Klopstock loben?
Doch wird ihn jeder lesen? – Nein!
Wir wollen weniger erhoben
und fleißiger gelesen sein.“
… und außerdem kann man 2024 mit gutem Grund dann bei jedem Gewitter „Klopstock!“ seufzen. Es ist ja Klopstock-Jahr.

Ursula Maria Zorn (28. Juli 1674 – 13. Februar 1711)
Ihre 350. Geburtstag feiert die in Berlin geborene pietistische Dichterin, deren Schriften voller „erbaulicher Betrachtungen“ und „erwecklicher Seufzer“ in ihrer Zeit so bekannt waren und so oft verkauft wurden, dass Luise Adelgunde Gottsched die Autorin in ihrer antipietistischen Komödie „Die Pietisterey im Fischbein-Rocke“ erwähnte.

Emerenz Meier (3. Oktober 1874 – 28. Februar 1928)
Emerenz Meier feiert ihren 150. Geburtstag – ihr einziges Buch „Aus dem bayerischen Wald“ machte sie berühmt und zur wichtigsten bayerischen Volksdichterin neben Lena Christ. Um 1900 wanderte Meier in die USA aus, wo sie auch verstarb – hier gibt es eine unkonventionelle, mutige Denkerin und Schriftstellerin wiederzuentdecken.

Marie Luise Kaschnitz (31. Januar 1901 – 10. Oktober 1974)
Die große Dichterin Marie Luise Kaschnitz ist am 10.10. seit 50 Jahren verstorben – höchste Zeit, ihre Gedichte, Hörspiele, Erzählungen und Romane dem voranschreitenden Vergessen zu entreißen, das sie wirklich völlig zu Unrecht trifft. Hier ist eine der tollsten Dichterinnen des 20. Jahrhunderts zu entdecken.

Inge Westpfahl (15. Mai 1896 – 28. Oktober 1974)
Dramatikerinnen haben es in der deutschsprachigen Literatur noch schwerer als Autorinnen von Prosa oder Lyrik, sie sind – mit Ausnahme der oben bereits genannten Marieluise Fleißer vielleicht – aus dem kulturellen Gedächtnis praktisch völlig verdrängt. Anlässlich ihres 50. Todestages im Oktober würde es sich daher anbieten, die Dramatikerin Inge Westpfahl wiederzuentdecken, deren Werk aufgrund ihrer Lebensumstände – sie floh mit ihrem Mann, der jüdischer Abstammung war, vor den Nationalsozialisten – recht schmal geblieben ist. Ein Startpunkt der Wiederentdeckung könnte ihr Stück „Semele“ sein, der erste Teil ihrer Dionysos-Trilogie, der von Nikos Kazantzakis (und der wusste bestimmt, was gut ist!) ins Neugriechische übersetzt worden ist.

Friederike Mayröcker (20. Dezember 1924 – 4. Juni 2021)
Dieses Jahr wäre die großartige Dichterin Friederike Mayröcker 100 Jahre alt geworden. Ihr letzter Gedichtband erschien 2020 – dieser, aber auch ihre früheren Veröffentlichungen aus den Bereichen Prosa, Lyrik und Hörspiel wollen am 20. Dezember – und natürlich an allen anderen Tagen auch – gerne gelesen werden.

Und übrigens: 2024 feiert auch James Baldwin seinen 100. Geburtstag.


2 Gedanken zu “Wer feiert 2024 ein rundes Jubliäum?

  1. Besten Dank, liebe Katharina Herrmann, für diesen Überblick und all die Rezensionen in 2023. Wir wünschen Ihnen einen guten Start ins 2024 und dass Sie auch künftig immer die richtige Balance für sich finden in diesen turbulenten Zeiten.
    Jean Fritz H.

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