Elias Hirschl – Content

Auf dem Instagramprofil „Humans of Late Capitalism“  finden sich allerlei Memes und Screenshots, die das absurde Leben der Menschen im Spätkapitalismus festhalten sollen, so etwa ein Screenshot eines Artikels über einen Mann, der dafür festgenommen worden ist, dass er ohne Verkaufslizenz Fürze in Fässern verkauft hat oder ein Plakat mit der Aufschrift „Robots can’t take your job if you’re already retired.“

In genau dieser Welt des Spätkapitalismus kurz vor dem ökologischen Kollaps, der jede Form der Lebensgestaltung mangels Zukunftsperspektive ihres Sinns beraubt, bewegen sich die Figuren aus Elias Hirschls Roman „Content“. Sie schreiben für die Firma „Smile Smile“ sinnlose Listicles, die nie veröffentlicht werden, bis sie durchdrehen. Sie drehen Videos, in denen realistische Attrappen von Gegenständen aus Kuchen angeschnitten werden, bis sie selbst Realität nicht mehr von Kuchen unterscheiden können. Oder sie gründen hypermotiviert ein Start Up nach dem nächsten und klingen dabei wie Christian-Lindner-Karikaturen, die alle Menschen um sie herum nur als Kapital, nicht als Person ansehen können.

Diese völlig sinnentleerte, perspektivlose Welt der Figuren ist innerlich so hohl wie die Erde, auf der sie stehen: Ihre Firmengebäude sind auf dem Gelände ehemaliger Kohleminen aufgebaut, es gibt im Grunde keinen Boden mehr, der sie trägt, und werden die Pumpen abgestellt, die die Stollen permanent leerpumpen, damit nicht alles im Wasser versinkt, so geht ihre Welt unter. In dieser Welt gibt es nur noch Listicles, Kuchenvideos, Gonzojournalismus, Fake News und Troll-Fabriken – es gibt nur noch „Content“, keinen Inhalt mehr, alles ist hohl.

Auch Personen haben keinen Inhalt mehr. Realitäten sind austauschbar – durch Kuchen, durch Fake News – und ebenso sind Identitäten austauschbar. Die Protagonistin des Romans verliert ihre Identität an eine Unbekannte und schafft sich schließlich durch eine KI selbst ab, die für sie ihre Listicles schreibt. Im Grunde ist sie am Ende des Romans vollständig ihrer sozialen Existenz beraubt – wozu sie noch weitermachen soll, lässt der Roman offen, der hier einfach endet. Über ein solches Verrutschen und Verschwinden von Identität in einer Welt, die Realität durch Fake News und Populismus manipuliert und aushöhlt, hat Elias Hirschl schon in „Salonfähig“ geschrieben, hier übernimmt der Protagonist die Identität eines von ihm bewunderten Politikers.

Dieses Problem der Aushöhlung von Realität, Identität und Sinn spitzt der Autor nun in „Content“ zu und weitet es von einer Einzelperson auf einen ganzen Landstrich und die ihn bewohnenden Figuren aus. Die Welt, von der dieser Roman erzählt, ist die Welt, die Ulrich Beck als eine Welt der reflexiven Modernisierung analysiert hat: Der Siegeszug der industriellen Modernisierung hat Nebenfolgen erzeugt, die die Grundlage der Moderne in Frage stellen. Die industrielle Modernisierung hat die Umwelt so ausgebeutet und verseucht, dass man in ihr im Grunde nicht mehr leben kann. Man muss die Umwelt immer weiter ausbeuten, um in der ausgebeuteten Umwelt noch leben zu können: Man braucht immer mehr Energie, um die Stollen leer zu pumpen, man braucht immer mehr Dünger, um auf dieser vergifteten Erde noch etwas wachsen zu lassen. Die völlige Entgrenzung der Risikogesellschaft, die permanent mit den selbst erzeugten Risiken umgehen muss, lässt jede Normalität zur Absurdität werden.

Um das zu erzählen, setzt Hirschl konsequenter- und passenderweise auf Wiederholungen, seitenweise ist „Content“ so monoton und redundant geschrieben wie der sinnentleerte Content, den die Figuren im Roman produzieren. Realitätsebenen verwischen, indem ohne Weiteres in einem Absatz von einem Satz zum anderen Thema und Realitätsebene gewechselt werden. Zeitsprünge und extreme Zeitraffungen machen deutlich, wie leer die Zeit ist, die im Leben der Figuren vergeht – so ereignislos, dass man einfach ganze Wochen überspringen kann.

All das ist sehr stark und gekonnt geschrieben – aber schön zu lesen ist „Content“ nicht. Denn dazu ist da zu viel Wahres dran. Wenn man nach dem Lesen dieses Romans in den Nachrichten davon erfährt, dass Microsoft ein riesiges Rechenzentrum im Rheinischen Revier bauen will – dann klingt das komisch, auf eine gruselige Art und Weise.

(Beitragsbild von Lachlan auf Unsplash)


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