Jana Scheerer – Die Rassistin

Nora Rischer, die Hauptfigur in Jana Scheerers neuem Roman „Die Rassistin“, ist Dozentin für Soziolinguistik an der Universität Berlin und und muss am Anfang des Romans die Hosen runterlassen, im buchstäblichen wie im übertragenen Sinn. Im übertragenen, da gegen sie – so meinen sie und einige ihrer Bekannten wie Studierenden zumindest – Rassismusvorwürfe erhoben werden: In einem Seminar habe sie einer Referatsgruppe von Studierenden aus der Volksrepublik China, deren Referat kaum zu verstehen war, einen Deutschkurs empfohlen. Die nun anonym durch das Referat gegen Rassismus des AStA erhobenen Vorwürfe wegen Rassismus am germanistischen Seminar bezieht Rischer auf sich. Die Folge ist ein Gedankenkarussell: Ist Rischer eine Rassistin? Oder mangelt es ihr an Zivilcourage? Ist sie bereit zu Selbstkritik? Ist sie bereit dazu, Konfrontationen auszuhalten?

Dieses Gedankenkarussell wird von Jana Scheerer wirklich virtuos umgesetzt, Rischer befindet sich permanent in einer inneren Auseinandersetzung mit einem Wir-Erzähler, einer inhomogenen Gruppe innerer Ankläger, die Rischer Vorwürfe machen, auf innere Widersprüche hinweisen, ihr das Wort im Mund umdrehen. Und in diesem Kontext spielt dann auch eine Rolle, dass Nora Rischer eben am Anfang des Romans ganz real die Hosen runterlassen muss: Der Roman beginnt in einer Kinderwunschpraxis, in der Rischer einen Termin hat, da sie mit ihrer Partnerin ein Kind bekommen möchte. Ihr innerer Gerichtshof macht daraus die Frage, warum es ihr zustehen soll, ohne männlichen Partner schwanger zu werden, wenn sie es Studierenden mit schlechten Deutschkenntnissen nur widerwillig zugestehen will, einen Abschluss im Fach Germanistik zu erlangen.

Beschleunigt und befeuert werden solche und weitere Auseinandersetzung Nora Rischers mit ihrem inneren Erzähler-Wir noch durch den Einbezug von Statements Außenstehender – ganz ähnlich, wie das auch in Mithu Sanyals „Identitti“ der Fall war – und durch eine gekonntes erzählerisches Einbeziehen digitaler Polarisierungsdynamiken. Nicht nur ihre inneren Stimmen zerren an Nora Rischer, sondern auch die vielen, sehr lauten und sehr schnellen Meinungen im Internet. So entsteht eine temporeiche Universitätssatire nicht nur rund um die Frage nach notwendiger Rassismuskritik an deutschen Universitäten, sondern auch rund um die Frage nach der Bewertungspraxis in geisteswissenschaftlichen Studiengängen – und so entsteht ein Roman, der keinen Moment langweilig ist, obwohl hier nahezu keine äußere Handlung vorhanden ist. Nahezu alles, was passiert, passiert in Nora Rischer.

Und als sei das nicht genug, wird der Roman noch durch eine Autorenfiktion um eine ihn vollständig durchziehende Metaebene erweitert: Angeblich habe nicht Jana Scheerer diesen Roman geschrieben, sondern ein gewisser Anton Ansbach, da aber Bücher von Autorinnen besser zu vermarkten seien, solle Scheerer den Roman unter ihrem Namen veröffentlichen. Vorangestellt sind dem Roman damit nicht nur Anmerkungen von Jana Scheerer, die den Roman gar nicht geschrieben haben will, sondern auch von einer Lektorin, die Bedenken bei diesem Roman hat, einem Literaturkritiker und von allerlei Bekannten von Anton Ansbach, die auch im Verlauf des Romans immer wieder zu Wort kommen und ihre Meinung zum Roman kundtun. So ist „Die Rassistin“ am Ende nicht nur Universitäts-, sondern auch Literaturbetriebssatire, nehmen die Autorenfiktion und die Zwischenkommentare doch auch Debatten im gegenwärtigen Literaturbetrieb aufs Korn.

Jana Scheerer hat in „Die Rassistin“ formal derart virtuos gearbeitet, so viele Ebenen mit so viel Witz ineinander verschränkt, dass dieser Roman, in dem im Grunde nahezu nichts passiert, keine Sekunde langweilig und immer wieder überraschend ist. Ich kenne keinen Roman, dem es derart gut gelungen wäre, das Tempo und die Widersprüchlich- wie Vielschichtigkeit gegenwärtiger Debatten, wie sie ganz massiv auch durch Social Media befeuert werden, literarisch abzubilden. Die erzählte Zeit umfasst ein paar Stunden – und in diesen paar Stunden hat wirklich jeder zu allem dutzende einander widersprechende Meinungen kundgetan, ist jeder Stein in Nora Rischers Leben fünfmal abgeklopft worden und ist mindestens zwanzigmal die Welt untergegangen. Das ist genau die Dynamik eines Shitstorms – und das literarisch so gut eingefangen und satirisch hinterfragt zu haben, das muss Jana Scheerer erstmal jemand nachmachen.

(Beitragsbild von Damiano Lingauri auf Unsplash)


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