Schwarz-weiße Verwandlungen: A. Igoni Barrett – Blackass / Mohsin Hamid – Der letzte weiße Mann

„Ich nehme Hautfarbe gar nicht wahr“, sagen weiße Menschen, die sich für nicht rassistisch halten, dabei aber lediglich verweigern, die Existenz von und die Verstricktheit in strukturellen Rassismus anzuerkennen. Doch was wäre, wenn Menschen die Hautfarbe wechseln würden, um so die Realität von Menschen anderer Hautfarbe zu erleben? Was wäre, wenn es tatsächlich keine Hautfarben mehr gäbe, weil alle Menschen eine einzige Hautfarbe annehmen würden? Von diesen surrealen Möglichkeiten erzählen zwei Romane, die dieses Jahr in Übersetzung erschienen sind: „Blackass“ von A. Ignoi Barrett und „Der letzte weiße Mann“ von Mohsin Hamid.

Von Schwarz zu weiß

‚Als Furo Wariboko eines morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem weißen Mann verwandelt.‘

Das ist nicht der erste Satz aus A. Igoni Barretts Roman „Blackass“, er könnte es sinngemäß aber sein. Denn der Autor stellt seinem Roman ein Zitat aus Kafkas „Verwandlung“ voran – um dann von Furo Wariboko zu erzählen, einem Schwarzen Bewohner der nigerianischen Stadt Lagos, der eines Morgens als weißer Mann aufwacht. Sein Leben steht Kopf: Plötzlich wird er angestarrt, weil er die einzige weiße Person im Viertel ist, muss sein Elternhaus verlassen, weil seine Familie ihn nicht mehr erkennen würde, er hat kein Geld, ist obdachlos, alles ist plötzlich anders.

Aber nicht alles ist plötzlich schlecht anders: Seine erste Station ist ein Vorstellungsgespräch, bei dem er sich in der von großer Jugendarbeitslosigkeit geplagten Großstadt in eine lange Schlange von Bewerbern einreihen muss – nur um dann plötzlich, nachdem er sich jahrelang vergeblich für alles Mögliche beworben hatte, einen Job angeboten zu bekommen, der viel besser ist als der, für den er sich beworben hatte und für den er gar nicht qualifiziert ist. So schmerzhaft für Furo seine Verwandlung auch ist, da er damit plötzlich seine Vergangenheit verliert, so glanzvoll ist auch der Neuanfang, der sich ihm als Weißem bietet: Plötzlich flirten Frauen mit ihm, die bislang völlig unerreichbar waren, er wird mit lukrativen Jobangeboten praktisch überhäuft.

Wäre da nur nicht sein Hintern – der ist schwarz geblieben. Und so, wie er im Folgenden versucht, seinen Hintern loszuwerden, versucht Furo auch, seine Vergangenheit abzuschütteln.

Als wäre diese Geschichte, die sich A. Igoni Barrett da ausgedacht hat, nicht an sich schon wild genug, durchbricht der Autor die Geschichte von Furo noch durch einen Strang um den fiktiven Autor Igoni, der Furo durch Zufall kennenlernt und sich schließlich selbst verwandelt. Wirklichkeit, Identität, Inszenierung verschwimmen – oder wie es die Erzähler-Figur igoni mit einem retweeteten Tweet sagt: „Eiscreme in der Werbung ist in Wirklichkeit Kartoffelbrei.“ (S. 91)

Dieses gewitzte Spiel mit Verwandlungen erlaubt es dem Autor, wie nebenbei auf die schwersten Themen einzugehen: Korruption, Diskriminierung, Sexismus, fortdauernde und internalisierte kolonialrassistische Denkmuster. Je nachdem, in welcher Hinsicht seine Figuren sich verwandeln, öffnen sich ihnen die Türen oder aber sie verschließen sich, steigen sie in der Hackordnung auf oder ab. Keine der Figuren hier hat eine reine Weste, alle schauen im Zweifelsfall darauf, ihren eigenen Hintern (welcher Hautfarbe auch immer) zu retten, und das ist so, weil das Land, in dem sie leben, sie dazu zwingt. Sie alle mussten in Nigeria mit all seinen Problemen Überlebensstrategien entwickelt und eine Vielzahl dieser Strategien stellt der Roman nebeneinander: Korruption, Hochstapelei, Prostitution, Flucht, Idealismus.

„Niemandes Weg ist von Geburt an vorherbestimmt, wir alle müssen unsere eigenen Entscheidungen im Leben treffen, und welches Geschenk könnte größer sein, als die Chance zu bekommen, zu sehen, wohin die Wege, die du nicht eingeschlagen hast, dich geführt hätten.“ (S. 290)

Davon erzählt dieser atemberaubend vielfältige, anspielungsreiche, immer wieder überraschende Roman, den man aus wirklich vielen guten Gründen lesen sollte: Weil er Einblick gewährt in das Leben im Nigeria der Gegenwart, weil er Einblick gewährt in Diskriminierungsstrukturen und weil es einfach eine wirklich gute Geschichte über das Menschsein ist, die toll erzählt wird.

Übersetzt wurde „Blackass“ von Venice Trommer, erschienen ist der Roman im ersten Programm des noch ganz jungen InterKontinental Verlags, der sich auf afrikanische und afrodiasporische Literatur spezialisiert hat. Man darf wirklich gespannt darauf sein, was hier noch alles so veröffentlicht werden wird.

Von weiß zu Schwarz

Von einer entgegengesetzten Verwandlung erzählt Mohsin Hamid in seinem bei Dumont erschienenen und von Nicolai von Schweder-Schreiner übersetzten Roman „Der letzte weiße Mann“. Auch dieser Roman beginnt mit einem Erwachen:

„Eines Morgens wachte Anders, ein weißer Mann, auf und stellte fest, dass seine Haut sich unleugbar tiefbraun gefärbt hatte.“ (S. 9)

Und die Folgen, die diese Verwandlung hat, sind denen, die sich für Furo aus „Blackass“ mit der Verwandlung zum Weißen ergeben haben, diametral entgegengesetzt: Anders traut sich nicht mehr aus dem Haus, er meldet sich in seiner Arbeit, einem Fitnessstudio krank. Als er sich nicht länger verstecken kann, hat er das Gefühl, feindselig beobachtet zu sein, er vermummt sich, so gut es geht, hat aber Angst, grundlos angegriffen zu werden. Selbst reagiert er extrem ablehnend auf sein neues Aussehen, als er sich erstmals im Spiegel betrachtet, empfindet er folgendermaßen:

„Es war nicht mal so sehr der Schock oder das Entsetzen, das natürlich auch, vor allem aber erfüllte ihn sein neues Gesicht mit Wut, um nicht zu sagen Mordgedanken.“ (S. 10)

Und sein Arbeitgeber sagt zu Anders, als er ihn das erste Mal sieht: „Ich hätte mich umgebracht.“ (S. 37). Es ist das eigene strukturell-rassistische Denken, das Anders nun trifft. Und auch die anderen Weißen in der Stadt haben Angst: Immer mehr weiße Personen verwandeln sich nach und nach in Schwarze. Im Internet kursieren Verschwörungstheorien, denen insbesondere die Mutter von Oona, mit der Anders in einer Beziehung lebt, anhängt. Unruhen brechen aus, schwarze Menschen sind nicht mehr sicher, sie werden angegriffen, vertrieben und verschleppt. Zumindest so lange, bis sich so viele Menschen verwandelt haben, dass weiße Menschen erst die Minderheit bilden und dann ganz verschwinden: Schließlich wird sogar symbolisch der letzte alte weiße Mann zu Grabe getragen. Das Leben normalisiert sich.

Mohsin Hamid richtet dabei seinen erzählerischen Fokus gar nicht so sehr auf die gesellschaftlichen Umbrüche, er blickt in das Innere seiner Figuren und auf ihr familiäres Umfeld. Er beobachtet an dieser kleinsten Einheit sozialen Zusammenlebens, was sich verändert, wenn es keine Grundlage für rassistische Unterscheidung und Diskriminierung mehr gibt. Wie gehen rassistisch geprägte Menschen damit um, wenn ihre Liebsten plötzlich Schwarz sind? Wie gehen sie damit um, wenn sie selbst plötzlich Schwarz sind?

Am Ende dieses kurzen Romans, den man vermutlich eher als Novelle bezeichnen sollte und der in einer syntaktisch ausgefeilten, reduziert-nüchternen Sprache verfasst ist, steht die Hoffnung, dass am Ende der Unterscheidung von Menschen nach Hautfarben endlich die Menschen selbst stehen können, in ihrem Miteinander und Füreinander.

Am Ende des Romans „Der letzte weiße Mann“ könnte der Satz „Ich sehe keine Hautfarbe“ also tatsächlich gesprochen werden. Aber eben nur, weil es tatsächlich keine Hautfarben mehr gibt.

„Der letzte weiße Mann“ ist ein spannender Roman – aber wenn ihr von den beiden hier erwähnten Romanen nur einen lest, dann nehmt „Blackass“, das ist ein wirklich sensationell spannender Roman, und das betrifft nicht nur seine Handlungsebene, sondern auch seine erzählerische Metaebene.

[Beitragsbild von Наталья Кленова auf unsplash.com]


2 Gedanken zu “Schwarz-weiße Verwandlungen: A. Igoni Barrett – Blackass / Mohsin Hamid – Der letzte weiße Mann

  1. Hallo, liebe Frau Herrmann,

    ja, ein spannendes Thema, das Sie hier rezensiert haben. Danke dafür. Und es stellt sich in der Tat die Frage: Was wäre wenn…?

    Ich habe einmal Ihre Rezension zum Anlass genommen, dies mit einigen Leuten kurz zu diskutieren. Dabei sollten so spontan wie möglich auf Basis Ihrer Inhaltsangaben Gedanken und Empfindungen geäußert werden. Hier einige kurze Auszüge und auftauchende Fragezeichen – völlig wertfrei und frei davon korrekt sein zu müssen:

    – Grundsätzlich alle waren der Meinung, wenn sie (als Weiße) plötzlich mit schwarzer Hautfarbe aufwachen würden, sie vorrangig ein erhebliches Identifikationsproblem und kein rassistisches Problem bei sich sähen. Wie es dann weiter gehen würde, wusste allerdings niemand.

    – Auch dürfte es ein Unterschied sein, ob man so im New Yorker Bezirk Harlem oder im Münchner Hasenbergl aufwacht.

    – Völlig irritiert waren alle, dass man angeblich in der heutigen Zeit in einer mehrheitlich schwarzen Gesellschaft wie in Nigeria als Weißer so bevorzugt wird bzw. man als einheimischer Schwarzer von seinesgleichen angeblich so benachteiligt wird. Das klingt irgendwie klischeehaft und konnte kaum jemand glauben. Machen sich die Schwarzen im eigenen Land selbst klein? Und wird dann den Weißen dadurch eine Schuld für Rassismus zugeschoben, nur weil sie weiß sind, ohne damit eigentlich etwas zu tun zu haben? Man erlebt so etwas ja auch in Deutschland immer wieder, dass gerne schnell die Rassismus-Schiene gefahren wird, wo gar keine ist. Eine anwesende Personalmanagerin sagte zum Beispiel, dass schwarze Bewerber oft die anstrengensten Bewerber seien, da sie kritische Äußerungen in der Regel immer auf Ihre Hautfarbe als Grund schoben und nicht auf eine mögliche mangelnde Qualifikation. Hier musste sie sich meist mit Dingen auseinandersetzen, die eigentlich gar nicht Gegenstand der Diskussion und das Thema waren.

    – Die im ersten Roman angesprochenen Themen wie Korruption, Hochstapelei, Prostitution, Flucht, Idealismus haben allesamt ursächlich nichts mit Rassismus zu tun sondern sind allgemeine weltweite Phänomene in einer Gesellschaft (leider) – auch gleicher Hautfarbe. Es sind eher reine charakterliche Eigenschaften oder ursächlich aus wirtschaftlicher Not.

    – Das von Ihnen vorgestellte Zitat auf der Seite 290 (Blackass) ist in der Tat ein spannender Aspekt. Wer würde das nicht mal gerne. Max Frisch hat dieses Thema ja ähnlich in „Biografie: Ein Spiel“ behandelt. Was würde sich ändern, wenn wir in den eigenen Lebenslauf korrigierend eingreifen könnten?

    Buch Nummer 1 werden wir uns wohl zulegen.

    Beste Grüße

    Jean Fritz

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