Florian Scherzer – Selbstmordhunde

Leute, die noch einen bewussten Teil ihrer Kindheit in der prä-digitalen Welt erlebt haben (das klingt nach Dinosauriern und seien wir ehrlich: Wir sind halt nicht mehr die Jüngsten), kennen sie noch: Kassetten und Hörspielreihen. Ob TKKG, fünf Freunde oder drei Fragezeichen – überall haben junge Blitzbirnen Abenteuer erlebt und Geheimnisse gelüftet. Und kamen so in unsere Kinderzimmer.

Um genau eine solche Hörspielreihe und ihre Macher geht es in „Selbstmordhunde“ von Florian Scherzer: Heinrich Kogler, Misanthrop und Trinker, verdient im Westdeutschland der 1970er sein Geld damit, die Rolle des „Jeff“ in der Hörspielreihe „Die drei Schnüffler“ zu sprechen. Seine Kollegen hasst Heinrich regelrecht, seinen Job und die Hörspiele findet er grauenhaft, er erträgt seine Arbeit nur angetrunken. Zumindest bis zur Produktion der neuesten Folge der Reihe: „Die drei Schnüffler und die Selbstmordhunde“. Hier wird das Team der drei jugendlichen Detektive ergänzt um ein Mädchen namens Pat – und also wird auch das Team der Sprecher durch eine Frau ergänzt, die sich Renate nennt.

Heinrich verliebt sich in Renate, er ändert sein Leben und öffnet sich seinen Mitmenschen: Im Hintergrund seiner schlechten Laune steht eine grausame Familiengeschichte, die er nun aufzuarbeiten beginnt. Zumindest bis Renate plötzlich verschwindet und die Produktion der Folge „Die drei Schnüffler und die Selbstmordhunde“ nicht fortgesetzt werden kann: Plötzlich werden die drei Sprecher jetzt selbst zu drei Schnüfflern, die nach Renate suchen, die mehr als ein Geheimnis zu haben scheint. Realität und Fiktion verschwimmen, gerade für den psychisch labilen Heinrich in ganz fataler Weise.

Florian Scherzer verwebt hier auf sehr gelungene Weise Plots und Erzählebenen: Nicht nur Alois, der Geräuschemacher, hört Töne, die nicht da sind, sondern vor allem Heinrich gerät so durcheinander, dass man auch als Leser mitunter nicht mehr weiß, was eigentlich real und was ein Hirngespinst ist. Und ein wirklich schöner Kunstgriff ist es dabei, dass es das Hörspiel „Die drei Schnüffler und die Selbstmordhunde“ tatsächlich gibt: Man kann entweder das Skript zum Hörspiel, das in den Roman integriert ist, lesen oder aber dieses Hörspiel, das Scherzer extra für den Roman hat produzieren lassen, auf Kassette oder online unter https://www.selbstmordhunde.de/ begleitend zum Roman anhören. Roman und Hörspiel ergänzen sich nicht nur, sondern durch diese beiden Erzählstränge gelingt auch ein doppelter Spannungsaufbau in diesem stark plotgetriebenen Roman: Man will nicht nur wissen, ob Heinrich seine Renate findet, sondern auch, ob die drei Schnüffler das Rätsel der Selbstmordhunde lösen kann.

Und so liest sich der Roman im Grunde von allein. Für Leser, die mit einem bisweilen derben oder absurden Humor in Literatur etwas anfangen können, ist das zudem bestimmt ein sehr witziger Roman, der großen Spaß macht. Persönlich kann ich mit Humor in Literatur ja nicht viel anfangen, ich hätte den Roman auch nicht fertiggelesen, wenn Heinrich sein misanthropes Trinker-Dasein nicht recht bald hinter sich gelassen hätte – am Anfang des Romans erinnert „Selbstmordhunde“ mich zu stark an Heinz Strunk-Humor, da bin ich bekanntlich die falsche Leserin für.

Aber: Ich kann schon empfehlen, sich, auch wenn einen das ebenfalls stören sollte, durch die ersten etwa 100 Seiten durchzubeißen (wie so ein Hund) – danach verändert sich die Figur Heinrich stark und das Heinz-Strunkige verliert sich. Denn man sollte sich „Selbstmordhunde“ schon wirklich mal anschauen. Das ist ein gut auf Plot geschriebener, liebevoll und mit viel Hirn und Witz ausgeklügelter Roman mit vielen Verweisebenen, etwa auch in den Bereich deutscher Geschichte zur Zeit des Nationalsozialismus und in den Bereich Science Fiction. Ich kann mich nicht erinnern, je etwas Ähnliches gelesen zu haben und langweilig wird das Lesen bei dem Roman ganz bestimmt nicht.

Außerdem sieht das Buch sehr gut aus (zumindest sieht es auf Bildern sehr gut aus, ich habe es als eBook gelesen, aber das Hörspielkassetten-Cover ist wirklich ziemlich gut) und macht sich also auch längerfristig gut in jedem Bücherregal. Es ist also quasi eine Investition in die Zukunft.

Das Buch wurde mir vom Verlag als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.

[Hundebeitragsbild von Richard Brutyo auf unsplash.com]


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