Timo Feldhaus – Mary Shelleys Zimmer

In seinem unterhaltsam zu lesenden Sachbuch über die Zeit rund um das Jahr 1816 wirft Timo Feldhaus einen unserem heutigen Klimabewusstsein geschuldeten und damit doch neuen Blick auf die beschriebene Zeit: Er setzt an beim Ausbruch des Vulkans Tambora in Indonesien im Jahr 1815. Diese heftige Eruption warf so viel Material so weit aus, dass dies zu folgenschweren globalen Klimaveränderungen führte: Das Jahr 1816 wurde ein „Jahr ohne Sommer“, es regnete zu viel und war zu kalt. Die bekanntesten Folgen dessen sind Hungersnöte überall auf der Welt, von Timo Feldhaus erfährt man aber nun auch, dass wegen der so entstandenen schlechten Wetterlagen Napoleon bei Waterloo verlor, Mary Shelley ihren Frankenstein schrieb und Casper David Friedrich spektakuläre Himmel malte.

Dieses im Florian-Illies-Plauderton gehaltene Buch ist eine gut lesbare Zusammenschau eines Jahres und seines geistigen und politischen Lebens, einige der Bezüge zum Ausbruch des Tambora sind überraschend und einleuchtend. Anderes ist schlicht ahistorischer Humbug: Da denkt etwa Mary Shelley über Evolution nach, obwohl sie davon in dieser Form noch gar nichts wissen kann. Während eine solche Stelle vom Autor bedauerlicherweise nicht als Erfindung von ihm gekennzeichnet wird, wird ein etwas abstruses fiktives Gespräch zwischen Goethe und Caspar David Friedrich, in dem schließlich Joseph Vogl zitiert wird, immerhin als erfunden markiert – wozu es dieses Gespräch braucht, bleibt unklar, es ist zu allem Überfluss unangenehm pathetisch. Unangenehm sind auch einzelne Sätze in diesem Buch, so schreibt Feldhaus etwa über die Bootsfahrt von Percy Shelley und Lord Byron nach einem überstandenen Sturm:

„Als sie nach Genf zurücksegelten, hielten sich die beiden Männer an Deck liegend zärtlich an der Hand. Der Wind, der durch ihr Haar fuhr, klang wie ein Saxophon.“ (S. 240)

Nicht nur wurde das Saxophon erst 1840, also ein paar Jahrzehnte später, erfunden, man fragt sich auch, wer sich unter diesem Vergleich etwas vorstellen können soll. Als wäre das noch nicht genug, schickt Feldhaus gleich noch so einen Satz hinterher:

„Als Percy Mary von ihren Erlebnissen im Sturm erzählte, hatte sie die dunkel umrandeten Euphorieaugen einer Tänzerin.“ (S. 240)

Man fragt sich, inwiefern diese Vergleiche zu nachvollziehbaren Bildern führen sollen und wo hier eigentlich das Lektorat war.

Dennoch: Wenn man dieses Buch historisch nicht allzu ernst nimmt, ist es wirklich eine unterhaltsame, leichte Sachbuchlektüre für zwischendurch, die durchaus auch interessante Zusammenhänge herstellt.

Man fragt sich allerdings auch, ob es Zufall ist, dass diese Form des historischen Plauder-Sachbuchs, das es mit der Historie nicht ganz so genau nimmt, mehrheitlich von männlichen Autoren bedient wird. Anscheinend trauen Sachbuchverlage und das Sachbuch-Publikum einem männlichen Autor auch dann, wenn er offensichtlichen Humbug schreibt, noch fachliche Expertise genug zu, um ein Buch daraus zu machen bzw. dieses zu lesen. Das einzige Buch dieser Form von einer Autorin, das mir bekannt ist, ist „Im Rausch der Jahre“ über Paris zwischen 1850 und 1870 von der auf dem hier dargestellten Gebiet tatsächlich sehr kenntnisreichen Romanistikprofessorin Walburga Hülk. Diese kann solch ein Buch in diesem Stil schreiben, ist aber eben auch ausgewiesene Expertin. Florian Illies und Timo Feldhaus dagegen schreiben solche Bücher als Journalisten bzw. Publizisten und dem Publikum ist es völlig egal, dass sie mitunter ahistorisch schreiben und durchaus keine Experten im wissenschaftlichen Sinne sind, denn sie sind Männer und Männer sind eben immer Experten.

Nichts desto trotz: Es ist eine nette Lektüre, wenn man sie nicht so ernst nimmt.

[Beitragsbild von Piermanuele Sberni auf unsplash.com]


Ein Gedanke zu “Timo Feldhaus – Mary Shelleys Zimmer

  1. Danke für deine Worte! Damit wird klar: Das Buch ist nichts für mich! Ich finde, dass solch Anachronismen, die du nennst, tödlich für eine solche Lektüre! Ich habe dann immer das Gefühl, dass doch schlecht recherchiert wurde – die Leute ihren Job nur oberflächlich gemacht haben. Darüber hinaus reißen solche (vielleicht mit Absicht verfassten) Fehler, einen ja immer aus der Atmosphäre eines Buches! Also:Danke!
    Textopfer

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