Vor ein paar Jahren hat mir mein lieber Arbeitskollege Jonathan beim Mittagessen von Onoda Hiro erzählt, der als Holdout den Zweiten Weltkrieg nach der Kapitulation Japans auf der philippinischen Insel Lubang bis 1974 fortführte, weil er alle Benachrichtigungen über das Kriegsende für einen Hinterhalt des Feindes hielt und seinen Guerillakampf im Dschungel von Lubang nur aufzugeben bereit war, wenn sein Vorgesetzter ihn von dem Befehl, genau diese Form des Krieges zu führen, persönlich entbindet. Onoda führte also den Zweiten Weltkrieg noch 29 Jahr fort – übrigens gab es mehrere solche Holdouts, also japanische Soldaten im Pazifikraum, die das Kriegsende 1945 nicht anerkannten und den Krieg weiterführten, Onoda ist lediglich der prominenteste von ihnen, aber etwa auch Nakamura Teruo führte den Zweiten Weltkrieg bis 1974 fort, nur eben auf Morotai.
Dass das, was Onoda Hiro getan hat, kein Einzelfall ist, hat auch seine Gründe in einer Ideologie. Diese müsste man, wenn man Japan in der Gegenwart und in seiner Geschichte, die ganz konkret gerade während des Zweiten Weltkriegs eben auch keine Unproblematische ist, ernst nehmen wollte, einbeziehen, sobald man über Onoda schreibt. Der Stoff ist grandios, ich weiß gar nicht, wie viele Leute, die Bücher schreiben, ich in den letzten Jahren belabert habe, damit sie ein Buch über Onoda schreiben – in dem Wissen, dass das schwierig ist, gerade weil der Stoff dazu einlädt, eben keine Fragen an ihn zu stellen, sondern ihn als Tragödie zu erzählen, als tragisches Einzelschicksal eines etwas merkwürdigen Helden. Eben das ist er aber ja nun nicht, Japan war in der Zeit, aus der Onoda stammt und die er gedanklich bis zu seinem Tod im Jahr 2014 nicht verlassen hat, kein lustiges Land heroischer, prinzipientreuer, würdevoller Samurai, sondern ein Land geprägt von einer Ideologie, die deutliche Parallelen zu den europäischen faschistischen Ideologien hat. Hinzu kommt speziell im Falle von Onoda Hiro noch eine recht eigenwillige Familiengeschichte, eine recht harte Erziehung, so hat die Mutter etwa Onoda im Alter von sechs Jahren nach einem Streit mit einem Freund dazu aufgefordert, Harakiri zu begehen, es ist Onoda Hiro aber nicht gelungen, sich zu töten. Als er später in den Krieg zog, sagte ihm seine Mutter, sie werde keine Träne um ihn weinen, wenn er fallen sollte. Über die Kälte und Härte protestantischer Erziehung am Anfang des 20. Jahrhundert und ihren Einfluss auf die nationalsozialistische Bewegung in Deutschland ist viel geschrieben und gefilmt worden – man könnte vermutlich wie insgesamt eben bei der Erforschung von Unterschieden und Parallelen von europäischem und japanischem Faschismus Gemeinsamkeiten wie Differenzen finden, Einflüsse darauf, warum aus Onoda das wurde, was er gewesen ist.
Wie also über so einen Stoff schreiben, ohne der japanischen Geschichte einen europäischen Blick überzustülpen, ohne Zusammenhänge von Einzelschicksal und japanischer Geschichte zu übergehen, ohne gegenwärtige Diskussionen um Onoda Hiro in Japan zu ignorieren, kurz: Wie über diesen Stoff schreiben, ohne Widersprüche einzuebnen, ohne sie perspektivisch zu verzerren? Ein Text, der dem Stoff gerecht werden wollen würde, müsste mehr Fragen aufwerfen als beantworten, und dürfte sich eben nicht blind Faszination und existentialistischem Pathos überlassen. Dachte ich.
Little did I know. Man kann auch einfach ein Buch über Onoda Hiro schreiben, ohne dabei einen einzigen kritischen Gedanken gedacht zu haben. Und man kann dafür im Feuilleton prima Applaus bekommen. Das beweist „Das Dämmern der Welt“ von Werner Herzog.
In dieser längeren Erzählung oder Novelle – eine Gattung wird nicht benannt – erzählt Werner Herzog auf etwa 120 Seiten die Geschichte von Onoda Hiros persönlichem Zweiten Weltkrieg auf Lubang zwischen 1944 und 1974, also ab dem Befehl, dort nach Abzug der kaiserlich japanischen Armee einen Guerillakrieg fortzusetzen, den Onoda eben bis 1974 sehr ernst nahm. Erst 1974 beendete er seinen Kampf, nachdem ihn der ehemalige Student Suzuki Norio gefunden und seinen Vorgesetzten, Major Taniguchi, nach Lubang gebracht hat, um Onoda persönlich aus seinem Dienst zu entheben. Mit Onoda auf Lubang waren die Soldaten Akatsu Yuichi, der 1951 kapitulierte, Shimada Shoichi, der 1954 fiel, und Kozuka Kinshichi, der 1972 fiel.
Dieser Binnenerzählung vor- und nachgestellt sind so eitle wie peinliche Ausführungen Werner Herzogs darüber, wie er Onodo Hiro persönlich getroffen hat. Im Grunde sollte man schon nach den ersten zwei Seiten das Lesen einstellen, denn man erfährt hier schon, auf welchem Reflexionsniveau sich dieses Buch bewegt, es beginnt damit, dass Herzog darüber schreibt, dass er 1997 in Tokio die Oper „Chushingura“ inszenieren sollte, wie er schreibt „die japanischste aller japanischen Geschichten“ (S. 7), nämlich eine Geschichte über Samurai und viel rituellen Selbstmord. Man weiß im Grunde hier schon, dass Werner Herzog denkt, dass es reicht, in Klischees von Japan zu denken. Wie sehr er sich selbst in seiner Ignoranz gefällt, liest man dann kurz darauf, wenn er davon berichtet, eine Einladung des Kaisers ausgeschlagen zu haben, „ein Fauxpass, so furchtbar, so dumm, dass ich noch heute für ihn in den Erdboden versinken möchte“ (S. 8), aber eben nicht peinlich genug, um ihn nicht an das Anfang eines Buches zu stellen, um der Welt zu zeigen: Für größer, für wichtiger als den Kaiser und den Respekt vor der Kultur eines Landes hält Werner Herzog Onoda Hiro, denn er schreibt: „Wen denn, wenn nicht den Kaiser, ich sonst in Japan treffen wollte? Ohne zu denken, sagte ich: Onoda.“
Diese zwei Seiten Vorwort machen eben schon deutlich, was man hier im Folgenden nicht erwarten darf: Reflexion, Zwischentöne, den Versuch, irgendetwas gerecht zu werden, kritisches Denken, Widersprüche, Fragestellungen. Was man dafür kriegt: Eine im Grunde ernstjüngernde Erzählung, die halt eben nicht waldgangt, sondern dschungelkriegt und die sich in blinder Faszination für einen durchaus idealisierten Onoda Hiro, der zur existentialistischen Figur stilisiert wird, ergeht.
Gut geschrieben ist das und wenn man sich vorher nie mit Onoda Hiro beschäftigt hat, überwältigen einen vielleicht der lyrische Ton, die atmosphärische Dichte und der Stoff. Vielleicht stellt man dann keine Fragen an den Text – zumal der Text ja auch wenig Anlass dazu gibt, der Text will ja selbst nichts wissen. Der lyrische Ton, in dem die Erzählung gehalten ist, ist weder ganz frei von Peinlichkeiten, noch – und das ist das viel größere Problem – frei von einer ordentlichen Portion verklärendem Pathos:
„Die Nacht wälzt sich in Fieberträumen, und schon beim Erwachen, wie ein kaltes Frösteln, ist die Landschaft ein zum Tag verwandelter, statisch knisternder Traum, der nicht vergehen will, zuckend wie schlecht verkabelte Neonröhren zucken. Seit dem Morgen flackert der Urwald in den rituellen Qualen einer elektrischen Verzückung. Regen. Das Gewitter so weit entfernt, dass der Donner nicht zu hören ist. Ist es ein Traum. Ist es ein Traum. Ein breiter Pfad, links und rechts dichtes Unterholz, faulende Blätter auf dem Boden, das Laub tropft. Der Dschungel verharrt in Starre, in geduldiger Demut, bis das Hochamt des Regens zu Ende zelebriert ist.“ (S. 9)
Genau in diesen Bildern wird dann die Geschichte von Onoda Hiro erzählt, der als Teil dieser demütigen Natur vorgestellt wird, als eins werdend mit dem Dschungel und damit selbst als demütige Figur dargestellt wird. Leitmotivartig durchzieht die Frage, ob der Krieg nur ein Traum Onodas ist, gar ob der Krieg ein Eigenleben hat und von sich selbst träumt (vgl. S. 85), den Text. Eben hier, in diesem existentialistischen Kriegs-Kitsch und vor allem in der Sprache, passiert das, was diesen Text so begnadet unterreflektiert sein lässt: Onoda Hiro wird tatsächlich zum tragischen Helden gemacht, zur Frage, an der existentielle Fragen behandelt werden, am Ende des Nachworts, auf den letzten Seiten des Buches entlässt der Autor den Lesenden dann mit Fragen an sein Leben wie: „Wir glauben, in der Gegenwart zu leben, aber die kann es gar nicht geben. Gehe ich, lebe ich, führe ich Krieg? Was aber mit all den Strecken, die er rückwärts gegangen war, um den Gegner zu täuschen? Auch der Schritt rückwärts gerichtet ging in die Zukunft.“ (S. 125). Das ist plump, das ist pathetisch und das ist unterkomplex und wenn ist existentialistisch aufgeladene Kriegsfaszination lesen will, dann lese ich halt Ernst Jünger. Es ist schon erstaunlich, dass man sowas 2021 noch machen kann und dass das dann Kunst ist. Nein, wir sind halt eben nicht alle irgendwie Onoda Hiro, wir führen nicht alle irgendwie Krieg und gehen auch dann vorwärts, wenn wir rückwärts gehen.
Denn wer war denn Onoda Hiro und wie wird er hier dargestellt? Onoda Hiro war bis zu seinem Tod ein knallrechter Nationalist, sein Krieg war keine existentialistische Tat einer tragischen Heldenfigur, das war nicht der letzte ehrenhafte Samurai, sondern es war eben auch fanatischer Terror an einer Zivilbevölkerung, die Onoda 29 Jahre lang immer wieder überfallen hat. Werner Herzog bemüht sich mehrfach, das nahezu noble Verhalten Onodas bei den Plünderungen zu betonen – „Onoda lässt keine Plünderungen zu.“ (S. 67), Herzog verwendet statt „plündern“ dann eben die Formulierung, dass Onoda Reis „konfisziert“ (S. 79), aber auch dabei hält er Maß, nie nimmt er mehr als zwei Säcke – und weiß gar nicht so genau, wie viele Menschen Onodas Guerillakrieg das Leben gekostet haben soll, schließlich habe sich Onoda dazu nie geäußert und von den philippinischen Behörden gäbe es keine offiziellen Auskünfte (vgl. S. 80). Sehr genau weiß Werner Herzog aber, wie vielen Hinterhalten Onoda Hiro ausgewichen ist, nämlich 111 (vgl. S. 75). Die Wahrnehmung Onodas beschreibt Herzog mit den Worten:
„Er wird zum Mythos. Für die Einheimischen ist er der Geist im Wald, von ihm wird nur im Flüsterton gesprochen. Für die philippinische Armee, die seiner nicht habhaft werden kann, ist er eine dauernde Erinnerung an ihre Unfähigkeit, aber zugleich sprechen die Truppen von ihm auch mit der Zuneigung, die man einem Maskottchen zukommen lässt.“ (S. 80)
Das ist niedlich und sehr einseitig, sowohl in der Auswahl der Daten, als auch in der Darstellung. Es gab natürlich zumindest grobe Angaben zu den Opferzahlen und es gab auch Äußerungen der Einheimischen, die durchaus nicht so ehrfurchtsvoll oder voller Zuneigung sind, wie Herzog das darstellt, man müsste nach solchen Informationen auch gar nicht lange suchen:
Es gibt Dokumentationen über Onoda Hiro, in denen mit Bewohnern von Lubang gesprochen wird, die unter Onoda Hiro gelitten haben, die für ihn bestenfalls das Wort „Bandit“ haben. Das passt aber nicht zu Herzogs schillernde Faszination. Herzog lässt konsequenterweise dann den Soldaten Kozuka seinen Vorgesetzten Onoda als „prinzipientreue[n] Soldaten“ (S. 83) loben, seinen eigenen Erzähler lässt Herzog Onoda Hiro 1971 als „noch gelassener, noch stoischer“ (S. 90) bezeichnen als zuvor. Es geht um denselben Onoda Hiro, der in seiner eigenen autobiografischen Darstellung seiner Kriegszeit auf Lubang „No Surrender“ – die übrigens von einem ähnlichen (selbst)heroisierenden, lyrischen Ton geprägt ist, Onoda zitiert wahnsinnig gern Gedichte – etwa so stoisch auf den Tod Kozukas in einem Gefecht mit der philippinischen Armee reagiert, wie hier dargestellt:
„I ran through the forest, shouting, ‚I’ll get them for this! I’ll kill them all! Kill them, kill them, kill them!“ (Onoda Hiro: No Surrender, S. 177)
(Nebenbei: Schon der Blurb von „Christian Science Monitor“ zu „No Surrender“ spricht Bände und passt durchaus auch in das Bild, das Herzog von Onoda Hiro zeichnet, dort steht: „Onoda comes off as a well-trained, dedicated officer, doggedly following orders. Nowhere is these a suggestion of desperate fanaticism.“ Das behauptet man ja offensichtlich überall gerne von Leuten, die gerne letztlich menschenverachtende Dinge besonders gründlich gemacht haben: Sie haben einfach Befehle befolgt, so leidenschaftlich dabei, keinesfalls fanatisch.)
Onoda Hiro hat sein Verhalten auf Lubang, das Menschen ihr Leben gekostet hat, nie bereut, sich nie bei den Menschen auf Lubang entschuldigt, sehr wohl hat er aber in seiner Autobiografie unterschlagen, dass er auf Lubang mehrere Menschen getötet hat – nach einer Dokumentation mit Interviews der Bewohner von Lubang, die davon erzählt haben, hat Onoda Hiro schlagartig stark an Popularität in Japan eingebüßt und sah sich scharfer Kritik gegenüber. Aber auch ohne das: So viele Informationen über Onoda Hiro, so viel Komplexität muss man erst einmal ignorieren können, um ein so glattes Bild von Onoda zu entwerfen. Wie Onoda selbst sieht auch Herzog offensichtlich das, was Onoda Hiro da gemacht hat, weniger als eine schreckliche Begebenheit, die viele Menschen völlig sinnlos das Leben gekostet und viele verwundet hat, sondern als große Kunst:
„Onodas Krieg ist geformt aus der Vereinigung eines imaginären Nichts und eines Traumes, aber Onodas Krieg, dergestalt von nichts gezeugt, ist ein überwältigendes Ereignis, eines, das der Ewigkeit abgetrotzt ist.“ (S. 63)
Es heideggert und ernstjüngert hier schon wirklich gewaltig, und die Faszination für einen in solcher Gestalt einseitig stilisierten Onoda Hiro ist nicht so weit weg von der historisch leider nicht unbekannten Faszination für Nibelungentreue. Herzog schafft es sogar, von den völlig unsinnigen Überfällen auf die Zivilbevölkerung, die eine reine Machtdemonstration Onodas waren, zu erzählen, ohne dadurch irgendeinen Widerspruch in seinem Bild von Onoda zu erzeugen, denn um die Seite der Bewohner Lubangs geht es Herzog ja gar nicht, im Grunde geht es ihm nicht einmal um Onoda, ihm geht es nur um Onodas Traum vom Krieg als existentialistische Parabel. Jahre später wurde Onoda Hiro, so schreibt Herzog in seinem Nachwort, bei einem Besuch auf Lubang von den Einheimischen freundlich empfangen (vgl. S. 121) – ohne danach zu fragen, wer genau von den Einheimischen ihn da überhaupt empfangen durfte. Japan liegt, so Herzog, Onoda als Nationalheld einhellig zu Füßen:
„Als die Nachricht vom Ende des einsamen Krieges des Leutnants Onoda über das Radio Japan erreichte, standen alle Herzen, die Herzen einer ganzen Nation, für eine volle Minute still.“ (S. 121)
Obwohl Japan ihn so sehr liebt, sei Onoda Hiro, enttäuscht vom japanischen Konsumwahn, nach Brasilien ausgewandert. So erzählt Werner Herzog das. Dass Onoda Hiro auch deswegen nach Brasilien ausgewandert ist, weil er auch in Japan eine kontroverse Figur ist, die öffentlich durchaus einigen Gegenwind erfahren hat, das kann man ja mal unterschlagen – dass Onoda Hiro bis zu seinem Tod Mitglied der Nippon Kaigi, einer weit rechts stehenden nationalistischen Organisation, war, ebenso. Dass Onodas Stilisierung zum Nationalhelden eben gerade durch diese Nippon Kaigi betrieben wird, dass das ein politisches Programm ist, das Herzog vielleicht nicht einfach mittragen, sondern auf seinen Wahrheitsgehalt überprüfen könnte, wird selbstverständlich ignoriert, denn was interessiert Werner Herzog die komplexe Realität, wenn Japan-Klischees irgendwie viel mehr Gefühle machen. Die Ziele dieser Nippon Kaigi können umrissen werden wie folgt:
Von wesentlicher Bedeutung für diese Organisation ist der Yasukuni-Schrein. Dass dieser Schrein, den Onoda Hiro regelmäßig besucht hat und zu dessen Besuch Onoda Hiro auch Werner Herzog eingeladen hat, umstritten ist, kann dann selbst Herzog nicht unterschlagen (vgl. S. 122). Dass der Schrein besonders in ganz klar rechten und nationalistischen Kreisen eine wichtige Bedeutung hat, wird nicht erwähnt. Und just hier fällt dann plötzlich Werner Herzog die deutsche Geschichte ein, und zwar auf die kurioseste Art und Weise: Er hat zunächst Bedenken, den umstrittenen Schrein mit Onoda zu besuchen. Aber dann kommt er auf einen Gedanken, der so geschichtsvergessen ist, dass es eigentlich bewundernswert ist:
„Ich nahm das Angebot auch an, weil ich dachte, wer bin ich, jemand aus einem Land, das solche Schrecklichkeiten über andere Völker und Menschen gebracht hat, dass ich mir einfache Urteile erlauben dürfte.“ (S. 123)
Das ist nicht nur deswegen lustig, weil ja das ganze Buch ein einziges einfaches Urteil ist, sondern weil die nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands für Werner Herzog hier buchstäblich der Grund dafür ist, warum er mit einer auf Grund ihres rechten, nationalistischen Gedankenguts in Japan umstrittenen Figur wie Onoda Hiro einen auch aufgrund seiner ideologischen Bedeutung gerade für rechte und rechtsextreme Kreise umstrittenen Schrein besucht. Das ist sowas wie die absurd-Version von „Mit Rechten reden“: Weil Deutschland eine nationalsozialistische Vergangenheit hat, besuche ich mit einem japanischen Rechten einen umstrittenen Schrein, an dem auch Kriegsverbrecher verehrt werden, dabei auch gepflegt etwa die Kritik aus der ehemaligen Kolonie Japans, Korea, an diesem Schrein ignorierend. Wie oben schon geschrieben: Die Ignoranz, mit der Werner Herzog auf Japan blickt, mit der er nicht mehr als ein Klischee wahrzunehmen bereit ist, ist bemerkenswert.
Wenn man dann mit bedenkt, dass Onoda Hiro – der eben nicht einfach irgendwie im Herzen ein Samurai war, wie er so verkitscht dargestellt wird, sondern vor allem auch Kind einer Zeit gewesen ist, in der Japan von einer in vielerlei Hinsicht faschistischem Denken ähnlichen Ideologie geprägt ist, in der es durchaus Rassismus in Japan gab und gibt – eben kein tragischer tugendhafter Held ist, der ein bisschen auf Pfadfinder gemacht hat, kann man sich denken, dass auch die „Naturschulen“, die er in Japan gegründet hat, nicht auf einhellige Begeisterung der ganzen, ihn als Helden verehrenden Nation treffen und es ist wiederum eigentlich lustig, wie unkritisch Herzog da schreibt, Onoda Hiro „eröffnete Onoda’s Nature School, eine Privatschule, bei der er während der Sommermonate Schulkinder auf Freizeitlagern in Überlebenstechniken unterrichtete.“ (S. 122)
In dieser Weise über Onoda Hiro zu schreiben ist in etwa so kurios als würde man eine lyrische, atmosphärisch dichte Erzählung über Götz Kubitschek schreiben, wie er 1998 anlässlich des Todes von Ernst Jünger während seines Bosnien-Einsatzes als Reserveoffizier eine Lesung aus Werken Jüngers organisiert und dann Jahre später, vom konsumorientierten Deutschland enttäuscht, ein Schulungszentrum in Schnellroda eröffnet, in dem man lernt, Ziegen zu melken.
Bedenkt man dann aber wiederum, dass es noch vor gar nicht langer Zeit praktisch wöchentlich in allen deutschsprachigen Feuilletons verklärend-faszinierte Homestories aus Schnellroda gab (,weil man hierzulande immer noch ganz überrascht ist, wenn Rechtsextreme keine sabbernden Monster vom Mars sind, sondern – potzblitz – sogar Gedichte lesen, ja da müssen sie ja Kulturmenschen sein!), dann wundert es einen auch nicht mehr, wie lobend und begeistert und völlig unkritisch die feuilletonistische Literaturkritik auf Werner Herzogs „Das Dämmern der Welt“ reagiert: Auch hier ist es beinahe lustig, wie entlarvend es ist, wenn dann in einer Kritik lobend steht, das Buch gewähre „uns so einen Blick in eine andere, eine ekstatische Wirklichkeit“, als wäre Onoda Hiro ein Ekstatiker, als wäre hier, im fanatisch-terroristischen Krieg eines rechten Nationalisten, das echte Leben. Und von völligem Unwillen, danach zu fragen, ob das Werk seinem Stoff gerecht wird, ja ob diese ignorante und unterreflektierte Form der Darstellung überhaupt zurecht als ästhetisch behandelt werden kann, zeugt es, wenn an anderer Stelle steht: „Herzogs Sprache pirscht sich, gerade, indem sie die Grenze zwischen Fiktionalem und Realem bis zur Unkenntlichkeit verwischt, so nah wie möglich an ihren Gegenstand heran.“ Dieses Buch kommt seinem Gegenstand in Nichts nahe, alles, was daran sperrig, widersprüchlich wäre, wird eingeebnet zu pathetisch-existentialistischem Kriegs-Kitsch und Heldentum. Und das ist kein primär moralisches, sondern ein ästhetisches Problem.
Es wurde in letzter Zeit so viel über „neuen Midcult“ gesprochen. Werner Herzog hat mit „Das Dämmern der Welt“ ein Paradebeispiel dafür geschrieben, das auch lehrt, wie wenig Midcult dann als solcher erkannt und benannt wird, wenn der Autor Werner Herzog heißt und es irgendwie um sehr männliche Männlichkeitssachen geht. Dieses Buch ist bemerkenswert in seiner Ignoranz, es nimmt weder seinen Stoff noch irgendwie die Suche nach einer angemessenen Form und also ästhetische Fragestellungen ernst. Es will einfach nur gefühligen, pathetischen Existenz-Kitsch.
super text, danke
kann mich dem Vorkommentar nur anschließen.
Ist auch vor kurzem auf die Leseliste gekommen. Danke für die Rezension zur Einstimmung auf das Buch.