Nicht zu lesen lohnt sich nicht.

Sandro Abbate vom Blog Novelero fragte vor einiger Zeit danach, warum man eigentlich lese. Zwar fragte er das nicht mich, unaufdringlich wie ich bin, wollte ich dann aber doch auch einen Zweizeiler dazu dichten:

Meine Eltern sind Bibliothekare, beide. Das ganze Haus war immer voller Bücher, meinem Bruder und mir wurde im Kindesalter vorgelesen und schon früh wurde uns beigebracht, dass „Bücher wie Freunde“ sind – das war tatsächlich die Formulierung, die meine Eltern benutzten, ich bin mir aber sicher, man könnte sie auch mal in einer Verlagsvorschau oder Rezension verwenden: „Das Buch XY wächst einem ans Herz wie ein echter Freund“. Nun wurde aus meinem Bruder kein übermäßig eifriger Leser literarischer Texte (den „Faust“ und den „Hamlet“ kann er aber glaube ich sogar über weite Strecken auswendig), durchaus aber von Sachtexten, und aus mir wurde nach einer ausgiebigen lesepubertären Verweigerungsphase durchaus eine sog. „Leseratte“ (eine Bezeichnung, die ebenso an Ungeziefer erinnert wie der „Bücherwurm“ – warum eigentlich? Weil der, der liest, sich der Produktivität verweigert, ein Faulpelz ist, ein Nutznießer der arbeitenden Gesellschaft?). Diese unterschiedliche Entwicklung zweier auf ähnliche Weise sozialisierter junger Menschen lässt nun mehrere Schlüsse zu:

  1. Wenn Bücher wie Freunde sind, könnte der Leser diese Artikels nun denken: Aha, der Bruder hat wohl echte Freunde gehabt, sie wohl nicht, da hat sie sich halt Bücher gekauft. – Das stimmt aber natürlich nicht. Ich habe mir stattdessen eine Katze zugelegt.
  2. Das ist geschlechtsrollentypische Lesesozialisation: Jungen lesen Sachbücher und Biographien, Mädchen lesen Fiktionales. – Da ist vermutlich schon was dran, obwohl meine Eltern daran keinen Anteil haben, sie haben sich immer um uns beide mit ähnlichen Büchern bemüht. Die geschlechtstypische Lesesozialisation erklärt aber trotzdem eben nur einen Teil des Phänomens, wenn ich mich selbst mal als solches bezeichnen darf, denn schließlich macht geschlechtsrollentypische Sozialisation auch alle möglichen anderen lustigen Dinge mit jungen Frauen: Die einen drehen Schminkvideos für youtube, die anderen fangen an zu stricken, manche halten sogar Katzen, habe ich gehört. Im schlimmsten Falle wird man gar zur sog. „crazy cat lady“ (man muss ja auch noch Ziele haben im Leben).

Ich habe jedenfalls bisher weder Schminkvideos gedreht, noch kann ich stricken. Ich habe irgendwann wieder angefangen zu lesen, und wie so oft in meinem Leben aus ganz einfachen Gründen: Mir sind keine überzeugenden Gegenargumente eingefallen, im Gegenteil, ich habe erkannt, dass es sich auch nicht lohnt, nicht zu lesen. Das sei kurz an einigen der gängigsten Argumente gegen das Lesen demonstriert:

Viele Leute sagen ja, sie läsen nicht, weil sie immer so müde seien und das überhaupt zu anstrengend sei, wenn sie nach Hause kämen, würden sie lieber das Angebot des Privatfernsehens zur Kenntnis nehmen. Sicherlich ist das eine Ausrede, die ich auch gelegentlich nutze – aber eben das ist der Punkt: Gelegentlich, nicht ständig. Denn auf Dauer gestellt ist nun eben das die Ausrede, die Leute auch verwenden, die keine ordentliche Tageszeitung lesen wollen, sondern lieber die Bild oder irgendwelche Internetplattformen nutzen, um sich zu „informieren“. Eben diese Leute beschweren sich dann aber auch, dass „die da oben“ einen ja nur veräppeln und dass „man ja sowieso nichts erfährt“, ohne den Gedanken in Betracht zu ziehen, dass das Informationsvakuum, das sie umgibt, ein selbstverschuldetes sein könnte. Sich zu informieren und sich zu bilden macht Mühe, der Vorteil ist aber eben: Man wird dadurch immerhin in der Regel nicht dümmer.

Völlig albern ist ja die Ausrede, man finde „irgendwie gerade“ kein Buch, das einen interessiere. Schließlich ist die Auswahl ja wirklich schrecklich klein, und wenn man sonst auch jeden Quark ansieht, den das Privatfernsehen so anbietet, können die Interessen ja nicht so speziell sein. Und auch wenn sie es wären: Ich weiß nicht, ob schon viele Menschen an einem Blick über den Tellerrand gestorben sind.

Gerne wird als Grund für das Nicht-Lesen ja auch angeführt, man sei lieber draußen oder mache lieber Sport. Nun soll es ja Leute geben, die atmen gerne den guten Smog, die spüren gerne den warmen sauren Sommerregen auf der Haut, investieren durch intensives Sonnenbaden in einen späteren Hautkrebs oder lassen sich im Gras die Fußsohlen von Zecken kitzeln. Für all die gibt es eine großartige Neuigkeit: Bücher kann man auch draußen lesen – außer im warmen, sauren Sommerregen. Natürlich lässt sich dabei nicht so gut Sport treiben, beim Lesen, und das, obwohl der Sport doch so gesund ist. Nun kann aber Sport natürlich auch sehr ungesund sein – euer Orthopäde belegt das sicher jedem Jogger gerne anhand von Röntgenaufnahmen seiner Gelenke. Darüber hinaus: Für was sollte man sich eigentlich gesund halten? Um möglichst fit möglichst alt zu werden, um die Altersarmut möglichst lange genießen zu können? Um die eigene Arbeitskraft möglichst lange für den Arbeitsmarkt zu erhalten?
Und vor allem, um es mit Adorno zu sagen: Was hilft einem Gesundheit, wenn man sonst ein Idiot ist?

Das Superargument, das ich aber manchmal auch nutze, ist aber natürlich: „Ich habe keine Zeit“. In Wahrheit habe ich ja für alles Mögliche Zeit. Ich warte auf den Bus, ich stehe an der Kasse an, ich gucke im Zug aus dem Fenster, ich warte auf das Ampelsignal, ich hänge in der Telefonwarteschleife… für all das nehme ich mir Zeit. Macht ja auch echt mehr Spaß als lesen.

Insgesamt gibt es anscheinend keine vernünftigen Argumente gegen das Lesen. Also kann man auch gleich lesen. Denn nicht zu lesen lohnt sich ja auch nicht, wenn das Alternativprogramm aus Privatfernsehen, Candy Crush Saga, Telefonwarteschleifen und Joggen besteht.


3 Gedanken zu “Nicht zu lesen lohnt sich nicht.

  1. Schöner Beitrag. Nur eine Anmerkung: Man kann auch Sport machen und lesen ;-)). Zum Beipsiel auf einem dieser Standfahrräder. Man legt sich das Buch einfach auf den Lenker. Dann gehen die 30 Minuten oder was auch immer man sich zum Ziel gesetzt hat auch schneller rum, wenn man nebenher sein Buch lesen kann.

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